Silent Book mit Pariser Flair

Paris ist nicht nur für Europäer, sondern auch für US-Amerikaner spätestens seit Hemingway & Co. ein Sehnsuchtsort. Und kaum ein Gebäude verkörpert die Geschichte der französischen Hauptstadt so sehr wie die Kathedrale Notre-Dame mit seinen Stummeltürmen und den wunderlichen Steinfiguren – Gargoylen – auf dem Dach. 2019 ging das gotische Gebäude in Flammen auf und die ganze Welt erschrak, doch es hat den Brand überstanden. In diesem Bilderbuch ohne Worte spielt es eine wichtige Rolle.

Das Bilderbuch „Anton und der Gargoyle“ erzählt gleich drei Liebesgeschichten und braucht dafür kein einziges Wort. Anton lebt behütet und geliebt im Haus seiner Eltern auf, das voller Paris-Fotos und -Souvenirs steckt. Mama und Papa haben sich dort kennengelernt, scheint es, und auch die geliebte Großmutter wohnt dort. Vielleicht stammt auch der schöne runde Stein von dort, der auf Antons Nachttisch liegt – und  aus dem eines Nachts ein freundliches graues Wesen schlüpft. Es ist ein kleiner Gargoyle, der bald zu Antons liebstem Freund wird. Doch wo ist seine Familie? Als Antons Großmutter krank wird, muss Anton eine Entscheidung fällen.

Ein warmherziges, paris-verliebtes und gleichzeitig phantastisches Silent Book, das mit seiner zarten Farbigkeit und viel Lokalkolorit auf angenehme Art „aus der Zeit“ gefallen scheint. Die realistisch gehaltenen Illustrationen von Maja Kastelic regen zum Mitdenken und Nacherzählen in allen Sprachen an und bieten Anknüpfungspunkte für Gespräche und Projekte bis weit in die Grundschulzeit.

Tierisch, Armisch, Flüsterisch …

Dieses Buch aus dem Thienemann Verlag wirkt angesichts der aktuellen Mehrsprachigkeitsdebatte sehr erfrischend. Denn vor lauter Diskussion über die real existierende Sprachenvielfalt in Kita und Grundschule vergessen die Erwachsenen oft, dass Sprache – egal welche – für Kinder zunächst einmal ein großes Abenteuer ist; ein Experimentierfeld der Wörter und Laute, der Tonfälle und Ausdrucksweisen. Was Sprache eigentlich ist, was man mit ihr alles anstellen kann, und wo die Grenze zum Nichtmehrverstehen bei den anderen liegt, muss jedes Kind erst einmal für sich selber ausprobieren. Kitakind Ella, die Hauptfigur in diesem Buch, macht uns das vor und erfindet auf jeder Doppelseite eine neue Privatsprache: „Müdisch“, „Wurstisch“ und „Schreiisch“ sind nur einige davon. Die nur durch den Tagesablauf geliederte Aneinanderreihung dieser immer neuen Ella-Sprachen funktioniert zwar als (Vorlese-)Geschichte überhaupt nicht, dafür ist aber jede Sprache mit kurzem Text so treffend charakterisiert, dass ein:e spielerisch veranlagte Erzieher:in oder auch Grundschullehrer:in sie nach und nach mit einer Kindergruppe „einstudieren“ könnte. Allerdings ganz bestimmt nicht schon ab 3 Jahren, wie der Verlag empfiehlt, sondern frühestens im Vorschulalter oder auch noch bis Klasse 3 in der Grundschule.

Kälbchen im Tarnanzug

„Abteilung, stillgestanden!“  – „Im Gleichschritt, marsch!“ Der Oberfeldwebel brüllt sehr laut.  Seine Soldaten gehorchen ihm sonst nämlich nicht, glaubt er. Doch sein Gebrüll nützt nichts – denn: „Da liegt eine Kuh im Weg.“ Und die Kuh bekommt auch noch ein Kälbchen, mitten auf dem Truppenübungsplatz. Das Kälbchen ist entzückend und die Soldat:innen kümmern sich liebevoll um Kuhmutter und Kind. Sogar der Oberfeldwebel ist gerührt und brüllt nicht mehr so schrecklich laut. Es gibt Wichtigeres, als zu exerzieren. Eine zutiefst pazifistische Geschichte, urkomisch illustriert von Volker Fredrich.

Heike Roegler

Es war einmal ein kleines Mädchen, das fand Bücher einfach toll. Selbst als sie noch nicht lesen konnte, hat sie schon im zarten Alter von 2 Jahren in Büchern geblättert und sich an dem Rascheln der Blätter erfreut. Später hat sie dann – als sie schon lesen konnte – viele Bücher verschlungen. Ob ihr Lieblingsbilderbuch „Bi Be Bo Ba Bu, die Igelkinder“, den „Kleinen Wassermann“ oder „Momo“ – sie hatte einfach mit allen Büchern Spaß. Als Erwachsene begleiten sie nun immer noch Bücher. Nach ihrer Ausbildung zur Buchhändlerin und ihrem Studium zur Kulturanthropologin (übrigens eine Idee, die sie aus einem Buch bekommen hat) und zur Museumsmanagerin arbeitet sie heute im Hamburger Kinderbuchhaus, im Ide Ehre Leseclub und veranstaltet selbst Werkstätten rund um das Thema Buch.
Sie heißt übrigens Heike Roegler. Und wenn sie nicht in einem Buch steckt, dann versucht sie sich vielleicht gerade an einer Buchapp, auf jeden Fall liest sie noch heute viel.

Wie ein Krokodil zur Arbeit geht

Dies ist ein Bilder-Buch im wahrsten Sinne des Wortes. Denn es kommt ganz ohne Text aus. Dafür ziehen dich die fein gezeichneten und kolorierten Bilder schnell in ihren Bann. Ein Krokodil träumt vom Urlaub unter Palmen, doch dann klingelt der Wecker und du machst dich mit dem grünen Gesellen auf den Weg durch eine bunte, wildbewegte italienische Großstadt. Fährst mit ihm U-Bahn, kaufst mit ihm Blumen und Brathähnchen, und am Ende erfährst du auch, wo es arbeitet. Eine wunderbare Bildergeschichte für alle Altersstufen, so realistisch und unaufgeregt erzählt, dass du ab heute auf der Straße überall Krokodile siehst!

Lizenz zum Krachmachen

Wie hört es sich an, wenn Spinne Klavier spielt oder ein Felsbrocken den Berg herunterrollt? Wie klingt ein Tornado und wie schnarcht der braune Bär? Benjamin Gottwalds Buch „Spinne spielt Klavier“, ausgezeichnet mit dem Hamburger Bilderbuchpreis, erzählt keine Geschichte im herkömmlichen Sinn. Stattdessen ist das gesamte Buch eine Aufforderung zum Geräuschemachen. Jedes von Gottwalds großflächigen, kräftigen Bildern trägt seinen eigenen Sound in sich, und oft macht man unwillkürlich gleich selbst das passende Geräusch. Und so steht es auch in der kurzen Einleitung, die den Bildern vorangeht und die wir wegen ihrer Schönheit einfach komplett zitieren: „Hör dir dieses Buch mal an! / Kannst du hören, was du siehst? / Es pufft und klappert / und quietscht und knackt / und knistert und kracht / und knallt und quakt /  und wispert und schellt /  und krächzt und bumst / und ballert und bimmelt / und raschelt und raucht /und donnert und knurrt /und pfeift und johlt /und japst und klickt / und röhrt und miaut. / Beispielsweise.”
Das schöne, dicke, schwere, nicht zu große Buch ist mit seinem griffigen Papier und den satten Farben ein echter Hand- und Augenschmeichler. Für Kinder ist es ein Riesenspaß, denn sie haben hier endlich mal die Lizenz zum Krachmachen, die sie im Alltag so oft vermissen. Und für Eltern und Pädagog:innen hat Gottwald mit “Spinne spielt Klavier” einen neuen Klassiker für Kita und Vorschule geschaffen, der für unzählige kreative Spaß- und Lernstunden geeignet ist. Denn Spracherwerb, das weiß ja jeder, geht auch über die Ohren. Zu wissen, wie etwas klingt, und es mit Worten und Geräuschen ausdrücken zu können, ist eine wichtige Kompetenz, die jedes Kind erwerben sollte. Wie gut, dass es dafür jetzt dieses Buch gibt! Ton ab!

Imker-Crashkurs für Zottelpelze

Spätestens seit Pu dem Bären ist weltbekannt, dass Bären auf Honig stehen. Der Bär in diesem Buch treibt seine Honigliebe aber noch ein Stück weiter als Pu und wird gleich selbst zum Imker. Dass das nicht so einfach ist, weiß nicht nur die schlaue Möwe, die ihm dabei über die pelzige Schulter schaut. Denn  die  Bienen müssen eingefangen werden, und dann brauchen sie einen Namen und ein Haus und Gutenachtgeschichten und ab und zu einen schönen Blumenstrauß, und die Königin braucht natürlich eine Krone aus Glanzpapier. Doch all das schreckt unseren Bären nicht ab, denn am Ende winkt die Belohnung in Form von vielen, vielen Honiggläsern.
Natürlich ist das alles ein Riesenquatsch (bis auf den Honig), aber sehr lustig ausgedacht, gezeichnet und erzählt. Kinder, die schon ein bisschen Ahnung vom Leben der Bienen haben (weil sie zum Beispiel Piotr Sochas fantastisches Bienenbuch gelesen haben), werden ihren Spaß daran haben, die Fakten hier mal ein bisschen geradezurücken. Wer noch nicht so viel weiß, kann sich an dem sehr sympathischen Bären erfreuen und bekommt vielleicht sogar Lust, mehr  über diese faszinierenden Tiere zu erfahren. Dazu finden sich auf den Vorsatzpapieren des Buches noch einige „honigsüße Fun Facts“ über Bienen.

Schläft ein Po in allen Dingen

Pos, Pos überall Pos: Ein Papa und sein Sohn laufen zur Schule und stellen fest: Jeder und fast alles hat einen Po. Der Bagger und die Schafe, die Vogelscheuche und der T-Rex. Das ist zunächst nicht so aufregend*. Aber spätestens ab der dritten oder vierten Doppelseite erliegst du dem absoluten Charme dieses Buches. Da ist die Sprache: Der gesamte Text besteht aus gereimten Fragen (Sohn) und Antworten (Papa), bewundernswert gut übersetzt von Hans-Christian Schmidt: „Hat der Ochsenfrosch nen Po? / Ja, es ist ein braun gefleckter. – / Haben Barsche einen Po? / Schau, in ihrem Namen steckt er. (…). Seite um Seite entspinnt sich dieses philosophische Gespräch und man fühlt sich fast ins antike Athen zurückversetzt, wo schon Aristoteles seine Schüler im Gehen unterwies – zumindest der Legende nach. So wird jedes Schaufenster, jedes Plakat auf diesem langen Schulweg ein Sprech- und Frageanlass, wird die Welt wahrgenommen und gemeinschaftlich in Poesie verwandelt. Dem zu folgen, ist ein großer Genuss. Doch die  eigentlichen, stillen Stars sind die Illustrationen von K-Fai Steele, die auf den ersten Blick einfach nur lässig hingetuscht wirken, aber dann doch in ihren Details und ihrem Witz eine so reiche Bildebene schaffen, wie es im Bilderbuch selten ist. Das San Francisco, in dem die beiden unterwegs sind, ist eine Stadt von Menschen verschiedenster Hautfarben, die alle zu Fuß gehen: ein friedliches Miteinander von Hipstern, Punks und jungen Muttis, die Häuser geschmückt mit Regenbogenflaggen, Peace-Symbolen und „Black Lives Matter“-Plakaten. Das wirkt gar nicht US-amerikanisch, sondern erinnert  eher an die linken Kinderbücher der 1980er Jahre oder an Jutta Bauers fein beobachtete Großstadtszenerien. Und überall in diesem fröhlichen urbanen Mikrokosmos gibt es … Pos! Einmal visuell drauf angespitzt, siehst du an jedem Menschen, an jedem Fisch und Vogel, ja sogar am Mülleimer oder der Golden Gate Bridge zuallererst und dann immer und überall  … einen Po. Oder zwei. Quietschvergnügt philosophisch ist das, und  am Ende siehst du die Pos dieser Welt mit völlig neuen Augen und hast ganz nebenbei gelernt, dass eine schräge Frage, wenn du dich nur drauf einlässt, deine Perspektive für immer verändern kann. Und wenn das schon für Pos gilt, was ist dann mit den wirklich wichtigen Dingen im Leben? Eben.

*In Byram, Mississippi verlor kürzlich ein Lehrer seinen Job, weil er seinen Schüler:innen ein anderes Po-Buch („I need A New Butt“ von Dawn McMillan) vorlas. Nacktheit ist für viele Konservative in den USA tabu und Bücher werden reihenweise aussortiert. Aber wer sich jetzt schon Sorgen macht: Die Hosen in unserem Buch bleiben die ganze Zeit an!

Ich so du so

Die unterschiedlichsten Charaktere der Tierwelt werden mittels liebevoll geschriebener Verse auf jeweils einer Doppelseite gegenübergestellt. Obwohl sich manche Tiere womöglich ähneln, können sie doch ganz unterschiedlich sein. Damit können Kinder Assoziationen mit sich selbst oder anderen Menschen machen und sie lernen zudem noch etwas über die unterschiedlichen Charaktere der Tierwelt. Die collagenartigen Zeichnungen sind pointiert, so dass direkt beim Betrachten der Bilder das Wesen der Tiere deutlich wird.
Die Reime sind toll übersetzt, sie ziehen wie die Illustrationen direkt den Bann und können dazu führen, dass die Kinder ihre Gedanken zu den Bildern oder Texten kommunizieren.

Gemeinsam sind wir stark!

Das Krokodil ist cool: Er beschützt alle schwächeren Tiere vor deren Feinden. Bis er nicht mehr kann, weil zu viele seinen Schutz brauchen. Doch dann besinnen sich alle zusammen, dass sie es als Gruppe auch mit den gefährlichsten Tieren ausnehmen können, weil sie gemeinsam am stärksten sind.

Hinterm Kaiserzipf geht’s weiter

Bunt und knallig wir Ihr Leben wird die abenteuerliche Biographie der österreichischen Forscherin Ida Pfeiffer (1797 – 1858) erzählt. Sie lebt in einer Zeit, als Mädchen noch für ein Leben als Mutter und Hausfrau erzogen wurden, aber in ihrem dritten Lebensabschnitt verwirklicht sie endlich ihre Träume und wird eine der ersten weiblichen Weltreisenden und erlebt große Abenteuer. Außerordentlich an diesem Buch finde ich, dass es der Autorin und Illustratiorin Linda Schwalbe gelingt, in wenigen und einfachen Worten und prägnanten Bilden das Leben der Forscherin schon für Vorschulkinder erlebbar zu machen und gleichzeitig bei Erwachsenen das Interesse an dieser unkonventionellen Dame und ihrer Zeit zu wecken.

 

Einer Geschichte vom Wachsen und Ankommen

Ein unbekannter Ort und eine fremde Sprache: Das sind die beiden großen Herausforderungen, die Mina beim Eintritt in den Kindergarten bewältigen muss. Grau und farblos erscheinen ihr die meisten Dinge am Anfang und die Worte der Erzieherin erreichen sie nicht. Aber schon bald beginnt Mina, sich in der neuen Welt zurechtzufinden und an jeden Tag kommt ein bisschen mehr Farbe in ihre neue Welt. Sandra Niebuhr-Sieberts Text beschreibt Minas Entwicklung sensibel und konsequent aus Sicht des kleinen Mädchens; Lars Baus’  einfühlsame Illustrationen und die sehr schöne Einbandgestaltung machen Minas Geschichte zu etwas ganz Besonderem. Ein Buch, das man sehr gern ein zweites oder auch drittes Mal in die Hand nimmt und das alle Kita-Pädagog_innen und auch alle Eltern von Kita-Kindern lesen sollten.